Zum Inhalt springen

Was erwartet ein Aikido Lehrer von seinen Schülern?

Um das Miteinander auf und neben der Matte noch harmonischer zu gestalten, habe ich mich gefragt, was ich, bzw. auch andere Aikido Lehrer von ihren Schülern erwarten. Meine Gedanken dazu sind grundsätzlicher Art und nicht direkt tagesaktuell in dem Sinne, dass ich recht zufrieden mit dem Verhalten der eigenen Gruppen bin. Andererseits müsste ich ja auch meine bisherige Unterrichtsweise überdenken, denn jeder Lehrer ist auch für das Verhalten seiner Schüler mitverantwortlich. Aber die folgenden Gedanken können Neuzugängen den Einstieg erleichtern und den einen oder anderen ‚älteren‘ Hasen/Häsin weiterhin zu seinem/ihrem Einsatz für das gemeinsame Training motivieren.

Das von mir gelegentlich benutzte Begriff ‚man‘ betrachte ich als gender-neutral.

Allgemeines

Manche Menschen beurteilen andere nach ihrer Gruppenzugehörigkeit, was einfach ist, aber oft dem Individuum nicht gerecht wird. Daher müssen wir uns bewusst sein, dass jeder von uns von anderen auch als ein Repräsentant für Aikido gesehen werden und ein Fehlverhalten auf die ganze Gruppe zurückfallen kann.

Gegenseitige Rücksichtnahme

Rücksichtnahme ist in allen Lebensbereichen unbedingt erforderlich. Das gilt natürlich auch für das Verhalten vor, während und nach dem Training. Auch wenn man leider im täglichen Leben zu häufig mit rücksichtslosem Verhalten konfrontiert wird, sollte das umso mehr eine Motivation sein, es besser zu machen.

Keine Aggressionen

Jeder von uns hat ein unterschiedliches Temperament, und ein gewisses Maß an Aggression oder auch intensiver Aktivität kann gelegentlich erforderlich sein. Sie sollte aber kontrolliert und niemals exzessiv sein. Aggressives eigenes Verhalten führt ja sehr oft zu einem aggressiven Verhalten des Gegenübers, was im Allgemeinen der Lösung eines Problems nicht dienlich ist. Jeder Mensch hat Emotionen, aber ein Ergebnis unseres Trainings sollte doch sein, negative Emotionen – und gerade Aggressionsgefühle – weitgehend zu kontrollieren.

Höflichkeit

Höflichkeit könnte man als Schmiermittel bei zwischenmenschlichen Beziehungen bezeichnen, sei sie nun formal oder, was natürlich besser wäre, von Herzen kommend. Im Aikido haben wir gewisse Höflichkeitsrituale, die auch in der japanischen Tradition zu Rücksichtnahme, Demut und Bescheidenheit führen. Dadurch entsteht ein positiver Impuls für unser tägliches Leben.

Äußeres Erscheinungsbild

Jeder am Training Teilnehmende hat eine bestimmte Vorstellung von seinem Erscheinungsbild, doch das entspricht nicht immer dem, wie er von anderen gesehen wird. So ist die Bemerkung im Training ‚Dein Dogi müffelt‘ keine Aggression sondern unter Umständen ein Hilferuf beim Irimi nage. Ein Dogi kann so alt sein wie er will - was ja oft auf ein häufiges und langjähriges Training hinweist -, aber auch er honoriert ein gelegentliches Frosch Bad.

Schlechte Nachricht für die Damen, lange Fingernägel sind gefährlich. Gegen Raucher- oder Alkoholfahne hilft ein Mundspülen, allerdings ist Alkohol vor dem Training strikt verboten und kann zu einem Mattenverweis führen. Übrigens kann auch eine übermäßige Parfümierung – eher aber nicht nur bei Damen zu finden - zur Benebelung und unter Umständen zu Unwohlsein des Partners führen.

Gesundheit

Wer sich krank fühlt oder ist, gehört ins Bett und nicht auf die Matte. Regelmäßiges Training ist eine Gesundheitsprophylaxe, bei Krankheitssymptomen aber kontraproduktiv. Abgesehen von der Ansteckungsgefahr hat der Körper wahrscheinlich genug mit der internen Reparatur zu tun.

Körperschmuck und Piercings

Ringe und Ketten aller Art gehören wegen der Verletzungsgefahr nicht ins Training. Nicht leicht entfernbare Piercings - auch wenn sie nicht direkt sichtbar sind - sollten aus demselben Grund wenigstens überklebt werden.

Trainingspausen

Wenn Trainingspausen längerer Zeit – also mehr als 3 bis 4 Wochen - andauern, sollte der Trainer informiert werden. Begründungen sind natürlich nicht erforderlich, fördern aber das trainerseitige Verständnis und sind vielleicht die Basis für Hilfen vonseiten der Gruppe. Wir fühlen uns ja auch als zusammengehörige Gemeinschaft – nicht nur auf der Matte, sondern auch außerhalb des Trainings (gegenseitige Hilfe, Reisen, gesellschaftliche Treffen), da ist eine entsprechende E-Mail sicher nicht zu viel verlangt.

Training

Nach diesen vielen allgemeinen Gedanken kommen wir nun zum Training.

Verhalten vor dem Training

In Japan waren und sind Dojo noch häufig besondere Orte, die unseren westlichen Sporthallen und -studios kaum vergleichbar sind. Früher war der Zutritt auch wegen der überlebenswichtigen Geheimhaltung der Techniken streng reglementiert und oft nur auf Empfehlung möglich. Außerdem geht man davon aus, dass die im Dojo herrschende konzentrierte Atmosphäre dem Lernerfolg förderlich ist, bzw. ihn überhaupt erst ermöglicht.

In traditionellen Dojo wird die Mattenfläche nach jedem Training von jeder neuen Gruppe gereinigt. Sollten sich nicht alle Gruppen an diese Regel halten, wird vor jedem Training gereinigt. Anfänger sollten sich schnell über Putzmittel und Putzablauf informieren, wobei sie von den fortgeschrittenen Schülern lernen können (wie ja auch bei den Techniken). Die ersten am Trainingsort bereiten das Putzen vor, geputzt wird dann gemeinsam unabhängig von Graduierung und sozialem Status.

Das nun folgende Binden des Hakama sollte schnell und möglichst schweigend geschehen, möglichst in Richtung zum Wandbild, dem man nur trainingsbedingt den Rücken zukehren sollte. Selbstverliebtes Posieren vor dem Spiegel sollte unterbleiben. Da vor und nach jedem Training, sei es in der Garderobe oder im Café, die Möglichkeit zur Konversation mit lange nicht gesehenen Freunden besteht, kann die nicht Budo-orientierte Kommunikation im Dojo auf ein Minimum reduziert werden. Ein kurzes Sammeln vor dem gemeinsamen Grüßen, auch um Abstand zum Alltag zu gewinnen, unterstützt den physischen und psychischen Lernerfolg.

Das gemeinsame Grüßen zum Wandbild im Knie Sitz ist den Aikidoka wohlvertraut, aber in anderen Budo Sportarten nicht immer üblich. Beim Grüßen sollten die Schüler vor dem Lehrer mit der Stirn am Boden sein und sich nach dem Lehrer wieder aufrichten. Ein Abwarten und ‚Prüfen‘, ob der Lehrer sich auch verbeugt, gilt in Japan als ausgesprochen unhöflich. Zur Form des Grüßens können sich Anfänger getrost nach den Fortgeschrittenen richten, die das richtige Grüßen in vielen Trainingsstunden verinnerlicht haben.

Verhalten im Training

Aufmerksamkeit und gegenseitige Rücksichtnahme charakterisieren eine gute Dojo Atmosphäre. Da Aufmerksamkeit ein wesentlicher Bestandteil der Selbstverteidigung ist, sind der Aufenthalt und das Training im Dojo eine gute Gelegenheit zur Verbesserung der Wahrnehmung und zum Überdenken von Gewohnheiten. Das Einstellen auf und Trainieren mit unterschiedlichsten Partnern ist eine große Stärke des Aikido, und dem sollte bei der Partnerwahl im Training Rechnung gezollt werden. Jeder Teilnehmende hat naturgemäß gewisse Präferenzen, aber auch durch Herausforderungen – Training mit Anfängern, ‚schwierigen‘ Partnern, langsamen oder sehr unsportlich veranlagten Partnern – werden wir besser. Ich erinnere mich gerne an die lehrreichen Stunden mit einem blinden Schüler im Tendokan in Tokyo oder die ‚Blindeneinheiten‘ bei unseren Übungsleiterlehrgängen.

Gegenseitige Rücksichtnahme ist eine Voraussetzung für eine gut funktionierende Gesellschaft. Das gilt besonders im Aikido, wo wir uns mit durchaus gefährlichen Techniken beschäftigen. Es gibt im Aikido keinen Gewinner oder Verlierer, und es ist immer besser frühzeitig abzubrechen, wenn Verletzungsgefahr droht. Da diese Gefahr auch von anderen Übenden droht, müssen wir stets die Umgebung im Auge behalten. Damit sind wir wieder bei der Aufmerksamkeit – im Gegensatz zur Routine.

Oft ist ein langsames Ausführen der Techniken sicherer - aber keineswegs einfacher! Darum heißt es auch ‚in der Ruhe liegt die Kraft‘ und nicht ‚je schneller, desto besser.‘ Das das Training auf dem jeweiligen grundsätzlichen und aktuellen Trainingszustand des Partners abgestimmt sein muss, ist ein wesentlicher Teil der Rücksichtnahme.

Obwohl wir dem Partner die volle Aufmerksamkeit schenken, muss ein Aikidoka zusätzlich immer auch die nähere Umgebung im Auge behalten. Es ist also – gerade bei größeren Techniken – eine gewisse strategische Vorausplanung bezüglich der Bewegungen des eigenen Partners als auch der Bewegungen der unmittelbar in nächster Nähe befindlichen Fremdpartner notwendig. Das schult auch die Antizipation von Bewegungen in einer ernsten Auseinandersetzung.

Verhalten nach dem Training

Nach dem Ab Grüßen ist das konzentrierte schnelle Zusammenlegen des Hakama eine Aikido spezifische Tätigkeit. Beobachter sind – besonders auf Lehrgängen mit über 100 Teilnehmenden – von der Ruhe und Konzentration der Aikidoka beim sorgfältigen Zusammenfalten des Hakama fasziniert.

Jeder Teilnehmende sollte sich vor Verlassen des Dojo vergewissern, das das Dojo so hinterlassen wird, wie man es vorgefunden hat (Wandbild, Türen und Fenster, übriggebliebene Garderobenschlüssel oder Hakama, benutze Waffen, etc.).

Trainingsfrequenz

Wie bei jeder anderen Lerntätigkeit, spielt eine gewisse Kontinuität eine größere Rolle als möglicherweise vorhandene Begabungen. Ein Lehrer ist sich voll bewusst, dass jeder Teilnehmende ein ‚Privatleben neben dem Aikido‘ hat. Familie, Beruf und andere Verpflichtungen fordern ihr Zeitattribut. Für die meisten Schüler/innen ist Aikido ein schönes, erfüllendes Hobby, aber nicht Lebensinhalt wie für den einen oder anderen vollberuflichen Trainer. Andererseits bedingen gesundheitliche und technische Fortschritte, ohne die eine Kontinuität im Aikido Training weniger motivierend ist, eine gewisse Trainingsfrequenz. Hier zeigt sich der Erfahrungswert von 50 bis 100 Trainingseinheiten pro Jahr. Weniger als 50 garantieren keinen Fortschritt, mehr als 100 sind unrealistisch. Das sind etwa 2 Trainingseinheiten pro Woche, wenn man Abwesenheiten durch Urlaub, Krankheit und andere unaufschiebbare Verpflichtungen mit einbezieht.

Jeder Lehrer ist über Teilnehmende begeistert, dir mehrmals pro Woche auf der Matte sind, aber es stellt sich doch die Frage, ob nicht gelegentliche kleinere Trainingspausen dem Fortschritt dienlicher sind, zumal die wenigstens höhere Teilnahmefrequenzen über eine längere Zeit aufrechterhalten können.

Außerdem reden wir hier nicht nur von technischem Fortschritt auf der Matte, sondern von einer allgemeinen Weiterentwicklung, die auch die nachdenkliche Beschäftigung mit den Aikido Prinzipien außerhalb des Dojo beinhaltet. Das kann ein Dojo unabhängiges gedankliches Arbeiten an den Techniken und Prinzipien oder auch nur weiterführendes Gespräche mit Gleichgesinnten beinhalten.

Trainingseinheiten haben – je nach Konditionierung – einen größeren oder kleineren individuellen Nutzen. Wer mit hängender Zunge in der letzten Minute vom Arbeitsplatz ins Dojo stürmt, wird unter Umständen im Training nicht völlig zur Ruhe kommen können und weniger mitnehmen als möglich wäre.

Pünktlichkeit

Ein Anhaltspunkt zum, pünktlichen Erscheinen sind 10 Minuten vor Trainingsbeginn entweder im Dojo (falls leer) oder vor dem Dojo (falls noch eine andere Gruppe trainiert). Ein darüber hinausgehender Zeitpuffer für Verkehrsprobleme, Parkplatzsuche, Reinigungen vor dem Training, Hakama Binden etc. ist empfehlenswert und meist nur eine Sache der Planung.

Gelegentliches berufsbedingtes Später Kommen ist allerdings dem Nichterscheinen vorzuziehen.

Verhalten außerhalb des Trainings

Wie schon anfangs erwähnt, werden Menschen gerne in Gruppen/Schubladen gepackt, weil man sie so leichter einschätzen zu können glaubt. Ob es uns gefällt oder nicht, wir werden als Vertreter/innen einer japanischen Kampfkunst und speziell als Vertreter/innen des Aikido betrachtet. Das gilt im Positiven wie auch im Negativen. Wie weit jeder Einzelne sich privat als Aikidoka outet, weiß ich nicht, aber spätestens beim Betreten der Trainingsorte oder bei gemeinsamen Aktivitäten sind wir in der Schublade. Machen wir das Beste daraus und werben wir für diese schöne Kampfkunst durch unser vorbildliches Verhalten im täglichen Leben.

Suchtverhalten

Der Weg des Aikido ist lang und oft beschwerlich, und nur mit einem starken Willen ist ein langjähriges, erfolgreiches Training möglich. Ein Aikidoka sollte also suchtfrei sein, bzw. sein leichtes Suchtverhalten (Alkohol, Tabak, Haschisch) ohne Selbstbetrug kontrollieren können. Droht im Training ein suchtbedingter Kontrollverlust, wird der Lehrer sofort und nachhaltig einschreiten. Hier wird schon die Vermutung zu einem diskreten aber klärendem Gespräch führen.

Feedback einholen

Vermutlich sieht sich jeder Mensch etwas anders als ihn seine Umgebung sieht. Das sollte gelegentlich zu einer gewissen konstruktiven Selbstkritik führen. Es ist sicher nicht falsch, sich grundsätzlich ab und zu oder bei Unklarheiten ein Feedback bei anderen Schülern oder dem Lehrer einzuholen. In harmonischen Gruppen wird das immer zu einem positiven Ergebnis für den Einzelnen und für die Gruppe führen. Gesundes Selbstbewusstsein und gelegentliche Selbstkritik sollten sich die Waage halten, um subjektive Fehleinschätzungen zu vermeiden.

Wir sind alle nur Menschen mit mehr oder weniger Fehlern und haben sicherlich alle unabhängig vom Alter ein Potential zur Verbesserung. Ganbarimasho!

Peter