Über 25 Jahre Herzogenhorn ... (die zweite Woche)
von Peter Nawrot
Ein Vierteljahrhundert Tendoryu-Aikido Lehrgänge mit Shimizu Sensei in der klösterlichen Abgeschiedenheit auf dem Herzogenhorn ... schon beinahe ein Mythos.
Zweimal sieben Tage mit jeweils etwa 60 Teilnehmern seit Jahrzehnten, wo gibt es da noch etwas zu berichten? Und ewig grüsst das Murmeltier ... aber auch Murmeltiere werden älter.
Sonntag - Anreisetag
Anreise bei brütendere Hitze, Zimmerverteilung, die Matte liegt bereits von der Vorwoche, muss aber nicht zuletzt wegen der Fliegenkadaver wie üblich gereinigt werden - auch das Mattenreinigen ein Ritus, zumindest kurzzeitig vergleichbar dem täglichen Ablauf in einem Zen-Kloster.
Die meist höher graduierten Teilnehmer kommen aus ganz Deutschland und den umliegenden Ländern, wobei die weiteste Anreise dieses Mal aus Slowenien (Maribor) erfolgte.
Das erste Training in gewohnter Montur, aber unter erschwerten Temperatur-, Anreiseermüdungs- und Höhenluftbedingungen.
Montag - Zen in der Bewegung
Das gute Wetter hält sich, klare Luft, Sicht bis zu den - schneebedeckten - Alpen, weisse Kleckse auf grüner Wiese, die sich morgens nach und nach zu einer eifrig kauenden, romantischen Gemeinde von mehr oder wenigen unfreiwilligen Wolllieferanten entpuppen. Früh am Morgen schlaftrunkene Gestalten im Dojo - wieder begrüssen einige Teilnehmer jeden Tag mit einer morgendlichen den Körper und Geist entspannenden Yoga-Stunde. Auch die etwas schwierigeren Kopf- und Handstände werden von Jahr zu Jahr professioneller.
Ja, die Zeiten ändern sich doch. Es gibt nun ein Frühstücks- und Abendessen-Büffet. Die endlose, an DDR-Zeiten erinnernde Warteschlange vor der winzigen Essensausgabeluke gehört der Vergangenheit an. Kein Anstehen, kein Drängeln, kein Platzfreihalten, kein Nächtigen vor der Luke, um morgens der erste zu sein, keine Tabletts, keine Klassentrennung in Bambispeiser und Nichtbambispeiser mehr. Dafür fehlt die oft noch durch Schlaftrunkenheit gezeichnete Kommunikation beim Warten. Die nächsten 25 Jahre also mit Büffet ...
Die in dieser Höhe seltene Hitze und die damit verbundene Anstrengung beim Training wird durch die enorme Motivation dieses geistigen und körperlichen Aikido Highlights des Jahres und durch das relative hohe Leistungsniveau mit den höchstgraduierten Tendoryu-Studenten mit Leichtigkeit ausgeglichen. Und sollten sich doch Schwächeerscheinungen zeigen, so genügt ein Blick auf die seit vielen Jahren unermüdlich teilnehmenden über 70-jährigen Aikidoka.
Dienstag - Saunatag
Was tendenziell bei den Lehrgängen der letzten Jahre ansatzweise bereits zu beobachten war, wurde dieses Mal (in der 2. Woche) konsequent durchgeführt: nach jedem (!) offiziellen Training fand ein 30-40 minütiges Spezialtraining für die höheren Dangrade statt. Ganz gezielt wurden in der Gruppe oder paarweise, in der Reihe oder randorimässig, Schwachstellen herausgearbeitet und gezielt verbessert. Vor einer sich täglich vergrössernden faszinierten Zuschauergruppe demonstrierte Shimizu Sensei, dass auch gerade bei Hochgraduierten wegen ihrer Vorbildfunktion nachhaltige Verbesserungen möglich und notwendig sind. überzeugende Demonstration der Fallübungen von Shimizu Sensei und seine aktive Teilnahme als Uke rundeten das beeindruckende Bild ab.
Der Dienstagvormittag gehörte - nicht ganz überraschend - dem Bokken (Schwert gegen Schwert), wobei Shimizu Sensei wiederum die Rolle des Bokken als Hilfsmittel und nicht als eigenen Weg im Aikido betonte.
Trotz anhaltender Hitze war die Sauna am Abend total überfüllt, zeitweilig war ein Eintritt Schwitzwilliger nur bei gleichzeitigem Austritt ‚Ausgeschwitzter’ möglich. Schwimmbad und kühles Bier sorgten später für äusseren und inneren Flüssigkeitsnachschub.
Mittwoch - Halbzeit und Ruhetag
Der traditionell freie Nachmittag resultierte wie üblich und besonders wegen sommerlichem Bilderbuchwetter in einem Run auf die umliegenden Ausflugsorte. Wer bis jetzt noch nicht ‚auf dem Horn’ war, holte dieses nach und musste nur aufpassen, von den Schäferhunden nicht in die Schafherde zwangsrekrutiert zu werden. Andere Teilnehmer fielen heuschreckenschwarmähnlich in die Eiscafes von Freiburg, Titisee, Schluchsee etc. ein. Ganz Mutige wagten sich bootsbestückt auf einen der Seen, rösteten in der Sonne und trotzten den kühlen Fluten.
Bis spät am Abend trudelten dann die ausgetobten Ausflügler wieder ein und konnten gerade noch die mit hängenden Ohren wegen der ungerechten Fussballgötter trauernden Niederländer (und mitweinenden Belgier) mit reichlich Hochprozentigem trösten. Für viele deutsche Fussballfans war damit geteiltes Ausgeschiedenenleid halbes Leid.
Donnerstag - mit aller Kraft voraus
Die Muskelkater der ersten Tage vorbei, die Akklimatisierung auf hohem (Berg-) Niveau vollzogen, der neue Tagesrhythmus verinnerlicht, Schlafpensum und Kommunikationsdefizite ausgeglichen - der geistig-sportliche Höhenflug hielt nicht zuletzt wegen Shimizu Senseis motivierender und begeistender Präsenz an.
Ein Vogel im Dojo vergegenwärtigte die für viele ungewohnte Naturnähe, und da der Piepmatz gleich nach Trainingsende mühelos das Dojo durch die Tür verliess, waren anfängliche Sorgen überflüssig (das Reinigungsteam fluchte ...). Nun ja, die vielen toten Fliegen, die täglich vom Putzdienst hinweggeschaufelt wurden, hatten es wohl wegen der etwas kleineren Gehirnmasse nicht bis in die Freiheit geschafft.
Nichts ist ewiglich, nur der Wechsel. So auch das Wetter. Kühl, bedeckt, Regen. Auch so kennen wir das Horn, und die wohlverdienten Mittagsschlafzeiten wurden länger. Bis zur Abreise sollte sich das Wetter dann auch nicht mehr verändern (die erste Woche auf dem Horn war wohl insgesamt wetterunfreundlich).
Die Mannschaft aus Slowenien, die dieses Jahr 25 Jahre Tendoryu-Aikido in Slowenien feiert (voraussichtlicher Jubiläumslehrgang mit Shimizu Sensei im nächsten Jahr), festigte die Völkerfreundschaft am Abend gnadenlos mit harten Sachen. Eigentlich überflüssig zu erwähnen, dass der Slowenienverantwortliche ebenfalls im täglichen Spezialtraining geformt und gefördert wurde.
Ob es schon Heimweh war? Jedenfalls wurden in steigendem Masse mit verschwiegener Miene günstige Empfangsplätze für den Handyempfang weitergereicht, und manche verdächtig im Unterholz der Umgebung wünschelrutende Gestalt war nicht auf öl-, Gold- oder Trüffelsuche sondern auf der Suche nach noch unentdeckten Empfangsplätzen.
Freitag - letzter Trainingstag
Und ewig grüsst die Abschiedsbowle ... die letzten Trainingseinheiten flogen vorbei und kumulierten in der üblichen Graduierungszeremonie durch den anwesenden Teil des Tendo-Beirates (wie sich der Technische Beirat nun wohl nennt).
Wie auch im letzten Jahr wurde im Rahmen der abschliessenden Party ein reichhaltiges, internationales Kulturprogramm angeboten. Ein Niederländisch-Französisch-Bayerisches Darstellerteam begeisterte mit Rollen- und Kostümspielen nach dem Motto, wer ‚A’ sagt, muss auch ‚B’sagen, muss auch ‚C’ sagen, muss auch ‚D’ sagen ...
Auch die endloseste Party endete irgendwann einmal und mündete nahezu nahtlos in den
Samstag - Abreisetag
Nur niemanden beim Abschied vergessen, die nettesten Damen (die Wahl war wieder schwer) möglichst mehrfach möglichst unauffällig mit Umarmungen verabschieden, Dank an Shimizu Sensei, den man wohl erst im nächsten Jahr wiedersehen wird (abgesehen von den Teilnehmern am direkt folgenden, kurzfristig eingeschobenen München-Lehrgang und den Novi Sad-Enthusuiasten), kurzen Rundblick über das verregnete Horn, Einsammeln aller Utensilien und Mitfahrer(innen) und das war’s dann wieder, das Murmeltier hat wieder einmal erfolgreich taisabakit ...