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Persönliche Reise durch die Aikido Stilrichtungen

Nach und zum Teil auch während meiner Judo/Jiu-Jitsu Zeit in Berlin von 1958 bis heute habe ich verschiedene Aikido Stilrichtungen trainiert und Erfahrungen unterschiedlicher Intensität und Dauer gesammelt. Ich gebe hier meine subjektiven Eindrücke wieder und beabsichtige keine Wertung der unterschiedlichen Stilrichtungen.
Alle Stilrichtungen haben ihre innere Logik und sind weder falsch noch richtig. Durch das Kennenlernen verschiedener Stilrichtungen lässt sich die individuell passendste Form herausarbeiten.
Die Jahreszahlen geben den ungefähren Zeitraum und der Name den Trainer wieder.

Ki Aikido – TU Berlin (1969, Kristkeitz)

Mein Judo/Jiu-Jitsu Training in Berlin fand beim SSC in Steglitz statt. Der Trainer Jürgen Mohn arbeitete an der TU Berlin als Assistent am Institut für Mechanik, und ich studierte Elektrotechnik ebenfalls an der TU. Ein bis zweimal wöchentlich trainierten wir morgens in der Uni Sporthalle. Dabei kam ich in Kontakt mit der dortigen Ki Aikido Gruppe unter Werner Kristkeitz und nahm eine Zeit lang am Unterricht teil (ich habe immer noch meinen Ki Aikido Mitgliedsausweis).
Das Ki Aikido – und damit mein erster Aikido Eindruck – war für einen sportlichen Judoka ungewöhnlich, und eine neue Budo Welt tat sich auf. Leider entsprachen die Trainingsmethode und die persönliche Ausstrahlung des Trainers nicht meinen Budo Vorstellungen. Außerdem waren wir durch das Jiu Jitsu Training näher an der Selbstverteidigung als es in dieser Aikido Gruppe üblich war.

Aikikai – Berlin (1970, Gerhard Walter)

Durch das Ki Aikido neugierig geworden sah ich mich in Berlin nach weiteren – damals waren es nur wenige – Aikido Gruppen um. Das damalige Dojo von G. Walter war am Mehringdamm in einem Hinterhaus. Die Trainingsfläche lagerte auf alten Autoreifen und war damit extrem elastisch. Garderoben waren – für mich neu – gemischt, und der Chef, Gerhard Walter wohnte über dem Dojo und schwebte sozusagen zum Training von oben per Treppe ein.
Das Training war sehr viel interessanter als bei den Ki Leuten, und ich war recht häufig dort. Ich erinnere mich noch an die Betonung des ‚Flow‘, also fließende harmonische Bewegungen. Gelegentlich wurde der Zugang zum Dojo durch in der Gegend öfter stattfindende Demonstrationen – damals auch schon gegen das Establishment und amerikanische Aggressionen – erschwert. Wenn ich mich recht erinnere, habe ich sogar einmal das Training geleitet – war vermutlich kein anderer Trainer da.

DAB Aikido – München (1979-80, Brandt/Altenbrand)

Das Aikido Dojo in  Großhadern war bei meinem Eintritt dem Deutschen Aikido Bund angeschlossen. Es war strikt nach deutschen Regeln organisiert, japanische Einflüsse wurden abgelehnt. Meine Judo Fallübungen hatten nur eingeschränkten Wert, sie waren zwar sehr zweckmäßig, aber nicht ganz so elegant und entsprachen nicht immer den Aikido Prinzipien.
Da sich die fortgeschrittenen dortigen Schüler auch auf DAB-fremden, also japanisch geleiteten Lehrgängen, weiterbildeten, gab es zunehmend Spannungen zwischen ihnen und den damaligen DAB Trainern (siehe dazu auch nächsten Abschnitt). Dieser Unstimmigkeiten führten dann bald nach meinem Eintritt zur Abspaltung der Grosshaderner Gruppe vom DAB und zu einer etwa gleich großen Aufspaltung in Tendoryu Aikido und Kobayashi Aikido Anhänger (letztere gründeten dann an anderer Stelle einen eigenen Verein).
1981 besuchte dann Shimizu Sensei erstmalig München und wurde begeistert begrüßt (wir kannten ihn schon von einigen Lehrgängen an anderen Orten). Die großen, flüssigen und natürlichen Tendoryu Aikido Bewegungen aus ‚japanischer Hand‘ faszinierten uns und stellten die DAB Stilrichtung vollends in den Schatten.
Mein eigener Höhepunkt war die Graduierung zum 1. Dan (ich hatte erst den 5. Kyu/Gelb Gurt DAB), die mir nach einem Besuch mit Shimizu Sensei zum Kloster Andechs verliehen wurde – der Klosterbesuch und der dazugehörige Schwarzbiergenuss hatten mit der Graduierung natürlich nichts zu tun.
Am Ende meiner München Zeit unterrichtete ich zeitweilig in der Sportschule Budokan, da der damalige Trainer Hiromichi Nagano (heute Leiter des Yoshinkan Aikido in Deutschland) als Uchi-Deshi (privater Schüler) Shimizu Sensei nach Tokyo begleitete.

Verschiedene Stilrichtungen/Lehrgänge – München /(1979 – 83)

Wie bereits berichtet orientierten sich die damaligen Grosshaderner Schüler und ich zunehmend bei Lehrgänge an Aikido Lehrern anderer Stilrichtungen wie:

Couhepe (Aikikai)

Couhepe Sensei stammte aus Frankreich und war vermutlich ein Noro (Ki no Michi) Anhänger.

Tissier (Aikikai)

Tissier Sensei ist der Leiter des französischen (Aikikai) Aikido, das damals und wohl auch noch heute auf die größte Aikido Anhängerschaft in Europa verweisen kann. Die Techniken ähnelten den Tendoryu Techniken, und Tissier Sensei war auch menschlich sehr sympathisch. Seine damaligen Schüler, die ihn begleiteten, hatten einen Hang zur Arroganz, zurückzuführen vielleicht auf die französische Mentalität oder allgemeiner auf das Fehlen des Wettkampfes im Aikido.

Kobayashi Yasuo (Kobayashi Aikido, Osaka)

Kobayashi Sensei war Leiter des Aikikai Osaka und in München, dann der Nachfolger der DAB Lehrer für einen Teil der Grosshaderner Schüler. Seine Techniken waren kleiner, sehr verblüffend und umwerfend. Man sah, suchte einen freien Platz, begann zu trainieren – und konnte die gezeigte Technik nicht ausführen. Für die meisten Aikido Neulinge waren die klaren, großen Tendoryu Bewegungen leichter zu begreifen.
Höhepunkt war mein Treffen mit Kobayashi Sensei auf dem Flug nach Japan (seinem Rückflug) beim damalig üblichen Zwischenhalt in Anchorage/Alaska., wo ich mit meinen Japanisch Kenntnissen glänzen konnte – oder es zu mindestens glaubte.

Yoshigasaki (Ki Aikido)

Yoshigasaki Sensei ist ein Schüler von Tohei Sensei und war der Vertreter des Ki Aikido in Deutschland (er starb 2021 ohne Nachfolger).
Ich nahm 1980 an einem seiner Lehrgänge in Erlangen teil. Es waren zwar die typischen Ki Akido Bewegungen, die ich schon von früher kannte, Yoshigasaki Sensei beeindruckte aber durch seine Lebendigkeit und Freundlichkeit. Für eine ‚Konvertierung‘ reichte das aber nicht aus.

Shioda (Aikikai)

Gozo Shioda ist 1994 verstorben. Sein Lehrgang um 1980 in München war gut besucht, Shioda Sensei war einer der alten Schüler von O-Sensei. Sein Lehrgang war unterhaltsam, er hatte die Angewohnheit, auf eine ‚scherzhafte‘ Art zu unterrichten.

Yamaguchi (Aikikai)

Saigo Yamaguchi Sensei starb 1996. Bei seinem Lehrgang fiel mir auf, dass er etwa alle 30 Minuten von der Matte verschwand und die Turnhalle verließ. Beim zweiten Mal beobachtete ich ihn genauer, sah ihn in der Garderobe, wo er sich eine Zigarette anzündete. Er konnte wohl ohne ständigen Nikotin Nachschub nicht lückenlos unterrichten. Damit verlor er sehr viel in meinen Augen als willensstarker Aikidoka.

Aikikai – Budapest (1995-96)

Die 1995 erfolgte berufliche Abordnung nach Budapest hatte zur Folge, dass die Berliner Aikido Gruppe selbständig weiterarbeiten musste, was ich auch durch häufige Besuche von Budapest nach Berlin unterstützen konnte.
Es gab zu dieser Zeit nur wenige Aikido Gruppen in Ungarn – die meisten überwiegend Aikikai orientiert -, und wir entschieden uns für die Sportgruppe an der Universität Budapest. Eine andere Gruppe, die wir besuchten, kam wegen des Trainers – ein vierschrötiger ungarischer ehemaliger Lifeguard, der uns wegen unserer vergleichsweise hohen Graduierung misstrauisch musterte – nicht in die nähere Auswahl.
Die große Uni Sporthalle war zu den Aikido Trainingszeiten von einem sehr viel mehr populären Karate Kurs belegt, und wir Aikidoka versammelten uns in einem Nebenraum. Die Teilnehmenden waren alle zwischen 20 und 25 Jahre alt und überwiegend männlich. Ich kann mich nur an zwei Frauen erinnern, von denen die eine (Tünde, ich habe mich nie an diesen Namen gewöhnen können) die Freundin des Trainers – auch ein Student – war. Das Training – zweimal pro Woche – war sehr dynamisch und eine Mischung aus verschiedensten Stilrichtungen. Man lud jeden japanischen Trainer ein, dessen man habhaft werden konnte, und das hatte einen Stilrichtungsmischmasch zur Folge. Offiziell war es ein Aikikai Verein, der auch regelmäßig stundenlange Kyu- und Dan Prüfungen organisierte.
Wegen der niedrigen Raumdecke und vielleicht aus Kostengründen waren Jo und Bokken nicht im Waffenangebot, stattdessen wurde mit fest gerolltem Zeitungspapier trainiert. Eine billige und doch recht wirkungsvolle Alternative – Papier kann ganz schön hart sein! -, wenn auch die Haltbarkeitsdauer der ‚Waffen‘ zugegebenermaßen gering war.
Daneben hatten wir noch zwei weitere Aikido Betätigungsfelder. Im Training lernten wir zwei Studenten kennen, die ihrerseits Gruppen leiteten, der eine in Castejy am Plattensee, der andere in Pest (dem sozial schwächeren Teil von Budapest auf der anderen Seite der Donau).
Leider  mussten wir feststellen, dass die Gruppe in Pest Sekten orientiert unterwandert war, und da wir nicht bereit waren, religiöse Pamphlete zu verteilen oder über den Aikido Weg Mitglieder anzulocken, beendeten wir nach einige Wochen die Kooperation.
Die Gruppe in Castejy unterstützen wir durch einige Besuch des dortigen kleinen Dojo auf dem Privatgelände des Trainers. Höhepunkt unserer dortigen Aktivitäten war eine Aikido Demonstration während eines Kick Box Wettkampfes in der Nähe. In der Wettkampfpause kletterten wir zu sechst durch die Seile in den Boxring (!) und knallten uns – angespornt durch das angetörnte Publikum – auf die Holzbretter, die die Box Welt bedeuteten. Es war wohl ein großer Erfolg, der sich leider nicht in steigenden Mitgliederzahlen der dortigen Gruppe niederschlug. Der Trainer zog kurz danach nach Berlin und gründete die Aikido Gruppe Reichenbach im Norden von Berlin (am Kutschi).
Die Zeit in Budapest war absehbar zu kurz, um eine eigene Tendoryu Aikido Gruppe zu gründen. Und wer kann schon Ungarisch … nem ertem.

Aikikai – Singapur, 1996-1998

Der berufliche bedingte Wechsel nach Singapur kam ziemlich überraschend. Singapur war bis dahin nur ein exotischer Name in Asien. Arbeitsbedingungen, Kultur und politische Gegebenheiten sind ein eigenes, hier nicht näher beschriebenes  Kapitel.
Als Aikidoka in einer neuen Umgebung bietet sich – falls die eigene Stilrichtung noch nicht existiert – der Marsch durch die verschiedenen Aikido Angebote an. Wie erwartet wird die Aikido Szene vom Aikikai dominiert, und ein kleineres Ki Aikido Dojo vollendete das Bild. Lokal bedingt war mein erster Trainings Versuch in diesem Ki Aikido Dojo. Nach der Arbeit machte ich mich zu der angegebenen Trainingszeit auf den Weg, fand das Dojo und stellte mich vor. Auf die Frage des Trainers, ob ich nicht gleich mitmachen wollte, entgegnete ich dass ich ja kein Trainingszeug dabei hatte. Nun, das war überraschenderweise kein Hinderungsgrund, und ich nahm in Büro Zivil am Training teil (meine Bürokleidung musste dann in die Reinigung). Trotz dieser unvermuteten und sehr sympathischen Flexibilität und neben der von einem Ki Aikido Dojo gewohnten Freundlichkeit entschied ich mich wegen der technischen Nähe später dann für die Aikikai Varianten.
Es existierten zwei Akikai Dojos an verschiedenen Enden der Stadt, eines wurde von Henry, eine 5. Dan, und das andere von Phillip, einem 4. Dan, geleitet. Das Henry Dojo war klein, bot aber auch ein Sonntagstraining an. Das Philip Dojo lag in der Näher des Flughafens an der Autobahn und war sehr viel grösser. Da die Zahl der Teilnehmenden im Henry Dojo kleiner war, nahm Henry Sensei öfter am Training teil. Leider war er technisch, menschlich und konditionell nicht weiter bemerkenswert, was zu einer gewissen Spannung und Unsicherheit auf seiner Seite führte.
Philip Sensei war jünger und dynamischer, und das Training war sehr viel interessanter, obwohl ich den Eindruck hatte, dass er mir vorsichtshalber aus dem Weg ging. Sein Standard Uke – mein Spitzname für ihn ‚der Waschlappen‘ – flog spitznamengemäss durch die Luft, er war ja auch nur halb so groß und schwer wie Philip, wodurch die Techniken nicht immer so ganz überzeugend waren. Nach einem Zwischenfall, ein Schüler seines Dojo sträubte sich beim Nikkyu Training in der Reihe zweimal trotz meines Hinweises. Beim dritten Mal ließ ich ihn nicht frei, als er die Hand zurückziehen wollte. Damit war das Training für ihn zu ende. Für mich allerdings auch, denn mir wurde vermittelt, dass meine Anwesenheit in den Aikikai Dojo nicht mehr erwünscht war.
Mithilfe dreier abtrünniger Aikiai Dane gründete ich dann eine eigene Tendoryu Aikido Gruppe.

Takemusu – Nürnberg, 2000

Nach der Rückkehr nach Deutschland stationierte mich Siemens im Hauptquartier in Erlangen. Das Wohnen im Ausländerwohnheim war eine neue Erfahrung und nicht von Dauer, da ich alsbald die Reißleine zog und mit goldenem Handschuh nach Berlin zurückkehrte.
Die nächste Trainingsmöglichkeit dort war in einem Takamusu Dojo in Nürnberg, mit dem Zug von Erlangen aus leicht zu erreichen. Wegen der anderen Stilrichtung trainierte ich anonym mit weißem Gürtel und ohne Hakama. Da ich von ‚Vorkenntnissen‘ im Aikido erzählt hatte und mich gut anpasste – Aikido ist Aikido -, gab es keine größere Verblüffung oder Missverständnisse. Ich wollte nur einfach trainieren und nicht missionieren. Es gab viel Bewegung auf der Matte, und häufig wurde in 4-5-er Gruppen trainiert, meist ein Danträger mit 3-4 Nicht-Danträgern.
Ein paar Mal unterrichtete ich in einem anderen, sehr kleinen Tendoryu Dojo ebenfalls in Nürnberg, kann mich aber nicht mehrt an Einzelheiten erinnern. War wohl nicht so überwältigend.

Nach etwa 3 Monaten erfolgte der Wechsel nach Berlin, und eine neue Aikido Geschichte begann … weiteres vielleicht demnächst an dieser Stelle.