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Das Neujahrsgespräch

Kawaraban Nr. 33

01/1998

Sonderbeitrag der Tendo-Zeitung

Aikido / Tai no Jo – Kodenkan

Shihan Hari Sunao, 7.Dan

Tendoryu Aikido – Tendokan

Leiter Shimizu Kenji

Für einen Sonderbeitrag zur Neujahrsausgabe Januar 1998 fand in der Redaktion der ‚Tendokan – Kawaraban’ ein Neujahrsgespräch zwischen dem Karikaturisten Hari Sunao und Shimizu Sensei statt. Es ging um ihre Gedanken zum Aikido. Frei heraus haben sie über die Faszination des Aikido, über die Entstehung von Techniken und über ihre Einstellung zum Budo gesprochen.

Beide sind sich vor über 30 Jahren im Aikido Honbu Dojo begegnet. 1994 jedoch begann mit der Einladung zu einer Feier mit Vorführung, die anläßlich der 25-jährigen Jubiläums des Tendokan abgehalten wurde, das ‘innige Verhältnis’ (Shimizu), und seitdem treffen sich die beiden, ‘deren Charaktere so gut zueinanderpassen, daß der Sake zusammen schmeckt’, bestimmt einmal im Monat zum gemeinsamen Trinken. Bei diesen Gelegenheiten, bei denen die Themen nie ausgehen, kommt das Gespräch doch immer wieder auf das Aikido zurück und mündet in Dingen, die beide betreffen, wie die Führung eines Dojos. In diesem Monat werden Shimizu Sensei am 18. im Kodenkan (Saga Stadt) und Hari Sensei am 25. im Tendokan anläßlich der Kagamibiraki-Feiern beider Dojos jeweils eine Demonstration geben. Man könnte sagen, diese gegenseitigen Einladungen waren eine auf der Hand liegende Entwicklung der Gespräche. Hier nun bemühen wir die beiden, die sich so nahe stehen, zu einem Gespräch, das vielerlei enthüllt.

Aus Dankbarkeit dem Aikido gegenüber (Hari)

Auf der einen Seite sind Sie, Hari Sensei, einer der herausragendsten Portraitzeichner, als politischer Karikaturist bei der Asahi Shinbun tätig, auf der anderen Seite haben Sie eine 40-jährige Aikidovergangenheit. Darüber hinaus haben wir erfahren, daß sie dem ‘Tai no Jo’ vorstehen und ein eigenes Dojo leiten .....

Hari: Ich arbeite als Karikaturist, und so hatte ich Aikido am Anfang als Hobby betrieben. Doch vor acht Jahren entwickelte sich in mir der konkrete Wunsch, als weitere Aufgabe ein eigenes Dojo zu gründen und zu leiten. So habe ich in meiner Heimatstadt Saga den Kodenkan gegründet. In Anbetracht meines Alters war es auch an der Zeit, dem Aikido etwas zurückzugeben. Und beim Überlegen, was ich tun könnte, kam ich zu dem Schluss, daß es doch ganz gut wäre, Aikido zu verbreiten. Zu dieser Zeit gab es in Saga noch kein professionelles Dojo. Das von mit gegründete Dojo war zwar klein, doch konnte ich mein eigenes Namensschild dort anbringen. So bin ich Shimizu Sensei gefolgt, habe meine Einstellung geändert und mein unbekümmertes Hobbydasein gegen Arbeit getauscht.

Jetzt verbringe ich ein Drittel des Monats im Kodenkan, und während der zwei Drittel, die ich in Tokyo bin, unterrichte ich samstags und sonntags in Shinjuku im Stadtzentrum, in Koganei und in Tokorozawa. Manchmal überschneidet sich das mit meiner Zeichenarbeit, doch ist es eine Sache, die ich liebe, die ich machen muß und deshalb auch gerne mache. Anders gesagt: “Was wäre nur aus mir geworden, wenn ich kein Aikido gemacht hätte“. Ich bin wirklich froh, Aikido zu betreiben.

Wir können zu den Wurzeln des Menschen zurückkehren (Shimizu)

Worin besteht die Faszination des Aikido? Was sagen Sie dazu als professioneller Aikidolehrer?

Shimizu: Für mich ist im Aikido die alte japanische Seele erhalten geblieben. Ich glaube, daß das gute Alte im Aikido zu finden ist. Wenn Sie jetzt fragen, was ich damit meine, so ist das in Worten schwer auszudrücken. Ich glaube, man verinnerlicht Qualitäten, die den Bushidogeist ausmachen: ‘Weisheit, Menschlichkeit und Mut’. Je länger ich Aikido betreibe, desto mehr finde ich zum Japanischsein zurück. Es ist, als ob ich heimkehrte. Ich spüre, dass ich mich selbst verbessern kann, so wie es sein sollte, und dadurch zu den den Wurzeln des Menschen zurückfinden kann.

Im Alter von 13 Jahren habe ich mit Judo begonnen und wollte später Profi werden. Doch eines Tages sagte jemand zu mir: „Wenn Du wahres Budo suchst, dann solltest Du ab jetzt Aikido betreiben und nicht Judo“. Er wies auch darauf hin, dass es bald im Judo Gewichtsklassen geben würde. Als wir in den 30-er Jahren der Showaperiode (1955-1964) an der Universität Judo betrieben, gab es noch keine Gewichtsklassen, doch wenn Judo vollständig zum Sport werden würde, würden die körperlich Stärkeren gewinnen. Genau zu dieser Zeit bin ich mit dem Begründer O-Sensei Ueshiba Morihei in Kontakt gekommen, und ich sollte es eigentlich nicht selbst sagen, doch er hatte mich mit den Worten: “Diese Person will wirklich Aikido machen“ auserwählt. Und auch ich, der mit O-Sensei zusammenkam, war von dieser Art Budo beeindruckt. Von da an habe ich mich vollständig ins Aikido versenkt. In der Tat ist Aikido mein Beruf geworden, doch sehe ich es nicht als Arbeit, sondern als etwas, das mich durch und durch begeistert.

Hari: Fünf, sechs Jahre nachdem ich ins Aikido Honbu Dojo in Shinjuku eingetreten war, hatte Shimizu Sensei als Uchideshi angefangen. Der junge Shimizu damals war wirklich gutaussehend (Gelächter). Wir, die normalen Schüler, konnten die Male, wo wir den Arm des Begründers greifen durften, an der Hand abzählen. Der Uchideshi Shimizu hatte reichlich Berührungsmöglichkeiten, was ich für ein riesiges Glück halte. Auch wir haben gespürt, wenn wir den Arm des Gründers fassen wollten, wie wir bereits schon vorher aufgesaugt wurden und Sieg und Niederlage bereits entschieden waren. Wir wurden verunsichert. Heutzutage gibt es nur noch wenige, die den Begründer direkt getroffen haben. Für mich ist es ein wertvoller Schatz, und ich denke, der Uchideshi Shimizu war wirklich glücklich `dran.

Shimizu: Es gab aber auch etliches, was nicht so glücklich lief (Gelächter). Manchmal hatte ich auch geklagt und zwar, wenn ich mit den Härten nicht fertiggeworden war.

Die Aikidobewegungen

Vorhin tauchte in den Worten Shimizu Senseis der Vergleich zum Judo auf. Ist es korrekt zu sagen, daß die typischen Aikidobewegungen in keiner anderen Budoart vorkommen?

Hari: Im Aikido spricht man von kreisförmigen Bewegungen. Was ich aber am stärksten bemerke, ist der Teil, der mit dem Einatmen bzw. Aufnehmen zu tun hat. Wie auch der von mir verehrte verstorbene Lehrer Yamaguchi Seigo lehrte, so war die Frage „Wie kann ich einen Gegner aufnehmen?“ auch in meinem Unterricht ein Thema. Ich denke, diesen Aspekt des Aufnehmens findet man weder in einer anderen Sportart noch bei Kampftechniken. Nehmen wir zum Beispiel den „Iriminage“. Bei den Kampftechniken prallen normalerweise zwei durchtrainierte Körper auf eine Art und Weise aufeinander, die leicht zu verstehen ist. Doch eine Besonderheit des Aikidos ist die Bewegung, durch die man den Gegner im Moment der Berührung umfässt.

Shimizu: Wenn man 100°C heißes Wasser zu 100°C heißem Wasser hinzufügt, ergibt das nicht 200°C. Solcher Natur sind diese Bewegungen. Gleichgültig wie stark der Gegner auch angreift, wir reagieren darauf nicht, indem wir die Kraft verdoppeln, sondern indem wir mit ihm eins werden. Doch dazu braucht man das entsprechende Können. Ich kam vom Judo und wurde Uchideshi. Und im Judo war es so, daß man versucht hat, sich zu sträuben, wenn der Partner eine Technik ansetzte. Diese Angewohnheit hatte sich bei mir auch im Aikido gezeigt, weswegen die Fortgeschrittenen bei mir keine Techniken ansetzen konnten. Aus diesem Grund hatte ich eine Menge Zweifel. Doch O-Sensei hatte mich, wie es auch vorhin Hari Sensei schon erwähnte, vollständig in seinen Bann gezogen. Als Uke von O-Sensei haben sich die Zweifel, ob man nicht die hohen Aikidodane nach Belieben mit Judotechniken werfen kann, ganz natürlich aufgelöst. Das Aikidotraining besteht aus dem wiederholten Üben von Techniken. Und allein dadurch, daß man die Bewegungsfolge kennt, ist die Möglichkeit gegeben, sich zu widersetzen. Doch, daß das nichts bringt und kein Aikidotraining ist, habe ich nach und nach verstanden. Ich fühlte O-Senseis Größe hierbei wie in allen Dingen.

Hari: Ich möchte noch hinzufügen, daß ein Unterschied zwischen Sport und Budo besteht. Im Sport bewerten wir nach Sieg und Niederlage, wofür es Regeln gibt. In Budo gibt es keine Verbote, deshalb werden im Aikido keine Wettkämpfe abgehalten. Außerdem ist Aikido mehr: „Aikido ist nicht dazu da, sich gegenseitig umzubringen, sondern sich leben zu lassen, und es ist etwas, wie man mit dem Gegner verschmelzen kann“, wie der Begründer es formulierte. Zum Beispiel wird es bei ‚Katetedori’ langweilig, wenn man nicht gespannt und ernsthaft trainiert, sich beispielsweise nicht vorstellt, daß die freie Hand gleich zum Angriff kommt. Andererseits wird das Training interessant, wenn man mit solchem Ernst trainiert.

Hari Sensei, bitte stellen Sie uns das ‚Tai no Jo’, das Sie unterrichten, vor.

Hari: ‚Jotaiken’ sieht folgendermaßen aus. Ein Schwertschlag wird mit einem Jo pariert, der Gegner wird weggeschleudert oder kontrolliert. Jo und Ken sind ungleiche Geräte und daher sehr interessant. Früher habe ich ‚Shinto Muso Ryu – Jodo’ geübt, doch ist das ‚Tai no Jo’ durch die aikidomäßigen körperlichen Elemente etwas völlig anderes, obwohl der gleiche Jo benutzt wird.

Shimizu: Mich interessiert das ‚Tai no Jo’, das charakteristisch für den vernunftgeprägten Hari Sensei ist. Er hat Aikido und Jodo lange und ernsthaft geübt und verwendet die Techniken von beiden. Ich möchte das noch mehr bekannt machen.

Ihre Träume

Zum Schluß lassen Sie uns zum Jahresanfang bitte etwas von ihren Plänen und Träumen hören.

Hari: Ich zeichne gerade an den Techniken vom Tai no Jo. Früher würden es geheime Schriften sein, heutzutage eigentlich ein Bildband, doch weil ich Karikaturist bin, zeichne ich Dinge, die man auf den ersten Blick versteht. Für eine Technik zehn Bilder, und das für siebzig Techniken. Dieses Werk möchte ich unbedingt zum 10-jährigen Jubiläum des Kodenkan, das im Jahr 2000 sein wird, herausbringen. Das ist mein Traum.

Shimizu: Ich denke, Budo ist ein Pfeiler der japanischen Seele. In diesem Sinne möchte ich vielen Menschen helfen zu verstehen. Dafür muß auch ein Lehrer noch lernen. Er muß Äußerlichkeiten wie Stärke, Erscheinungsbild, Täuschung und leere Förmlichkeiten ablegen und sich bemühen, den Unterricht so zu leiten, daß er das Innerste der Herzen berührt. Heutzutage ist es selten etwas aus dem Herzen zu tun. Mein Traum ist ein Unterricht, bei dem das Herz angesprochen wird.

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 06/2004