Zum Inhalt springen

Der Wunsch nach Einfachheit

Kawaraban Nr. 29

01/1997

von Kenji Shimizu

Die besten Wünsche zum neuen Jahr. Ich verbringe den Jahreswechsel jedes Jahr zu Hause, doch besonders dieses Jahr war ich etwas von den Leuten und deren nachlassenden Neujahrsstimmung überrascht. Ich konnte in der ganzen Nachbarschaft fast keinen Neujahrsschmuck entdecken. Japan hat auch begonnen, sich zu verändern, dachte ich bei mir.

Einige Leute beklagen den Verlust des bis jetzt typischen Neujahrs, doch ich mag die Einfachheit. Es gibt das Sprichwort “Wer auf dem Weg des Kriegers hinterhältige Gedanken hegt, wird nicht stark werden.” In diesem Sinn ist Einfachheit erfrischend. Aber besonders die Japaner leben in einer Gesellschaft, in der man nach aussen hin ein bestimmtes Gesicht zeigt (Tatemae-Gesellschaft). Die wahre Absicht tritt immer zurück, und alles wird mit dem “Tatemae-Gesicht” gesagt. Man kann diese Gesellschaft ebenso auch eine Gesellschaft der Unwahrheiten nennen. Wenn nur Falsches verbreitet wird, wird unser Land in der Welt nichts mehr gelten. Natürlich ist es klar, dass es auch bei der Wahrheit Grenzen gibt. Es hätte bestimmt einen guten Einfluss auf die Kinder, die das zukünftige Japan auf ihren Schultern tragen werden, wenn wir in Einfachheit leben und unsere wahren Absichten zeigen würden.

Neulich las ich in dem Buch des Mönches Yamada Mumon von der Rinzai-Sekte einen Absatz, an dem meine Augen hängenblieben.

< Buddha Shakjamuni sammelte von den Menschen weggeworfene kleine Baumwolltücher, nähte sie zusammen und zog das Lumpengewand an, welches er ”Glück erzeugendes Feld” nannte. In der Bedeutung, dass ein Mönch zu einem Reisfeld werde, das Glück für die Menschen hervorbringt.

So lassen die Mönche extra Brokatstoffe weben, die dann in kleine Stücke zerrissen und wieder zusammengenäht werden. Menschen, die solche prachtvollen Gewänder, in sieben oder neun Lagen übereinander tragen, muss man wohl als verrückt betrachten.

Darüber hinaus ist die Gesellschaft der Mönche, die die Lehre Buddhas von der Gleichheit der Menschen weitergeben, in Stufen wie Bischof und Priester gegliedert, die sich bis zur äusserlichen Farbe hin unterscheiden, was absurd ist. >

Nun, auch Aikido wird komplizierter, je länger man sich damit beschäftigt.

Es ist wie mit dem gerade vorher erwähnten anspruchslosen Selbst, d.h. die Befreiung vom Zustand der gegenseitigen Beeinflussung von Geist und Körper und das Aufgeben des Ichs, das die anderen Leuten von einem selbst unterscheidet. Wenn man dann in den Gegner eindringt, kann man sich frei bewegen und schliesslich, ohne an Formen zu hängen, mit dem Gegner verschmelzen. Die Schultern sollten in jedem Moment frei von Anspannung bleiben.

Dieses Jahr möchte ich mich diesem Zustand - wenn auch nur ein wenig - nähern.

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 01/2003