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Gedanken über Naturkatastrophen und von Menschen verursachte Katastrophen

Kawaraban Nr. 84

06/2011

vom Leiter des Tendokan, Kenji Shimizu

Im Frühling (März. 2011) fanden die jährlichen ausländischen Seminare dieses Mal in Deutschland, Serbien und den Niederlanden statt. Ab 10. März waren wir in Serbien (Kragujevac), und als wir am Morgen des ersten Seminartages (11. März) auf dem Weg ins Hotelrestaurant waren, sprachen uns einige der serbischen Aikido Schüler an: „Sensei, in Japan ist etwas Schreckliches passiert. Es gab ein großes Erdbeben.“

Es gibt zwischen Europa und Japan eine Zeitverschiebung von acht Stunden, und an diesem Tag, dem 11. März, war es in Europa etwa 6:30 Uhr vormittags, als sich das Erdbeben in Japan ereignete. Nach dem Frühstück gegen 8:30 Uhr schaltete ich den Fernseher ein, und es gab bereits Bilder vom Erdbeben in Japan. Japan wurde außerdem durch eine zum selben Zeitpunkt auftretende große Tsunami (Sturmwelle) überrascht. Weiterhin bestürzte mich die Größe der Erdbebenstärke von 8,9 (später korrigiert auf 9,0), und es war das erste Mal, daß ich außerhalb Japans derartige traurige Zuständes meines Heimatlandes ansehen mußte.

Darüber hinaus ereignete sich später wie ein letzter Schlag die Zerstörung mehrerer Atomkraftwerke. Und mit schmerzlichen Gefühlen schoßen mir die verschiedensten Gedanken durch den Kopf: „Was wird aus Japan?“, „Es gibt laut den Nachrichten zehntausende von Toten und Vermissten. Was hätte ich getan, wenn ich selber am Unglücksort gewesen wäre?“

Ab diesem Abend began das Seminar, und ich hatte gemischte Gefühle. Seitens der serbischen Schüler gab es Stimmen, im Gedenken an die Opfer des Erdbebens eine eine stille Andacht abzuhalten. Zu Beginn des Training saßen wir im Seiza für eine Schweigeminute.  Diese herzerwärmende, gute Geste der zweiten serbischen Generation, die eine gute Etikette besitzt, berührte mein Herz. Auf den allgemeinen Wunsch aller Teilnehmer machten wir dann auch Schweigeminuten auf den weiteren Stationen meiner Seminarreise in Berlin und den Niederlanden. Ich ließ den Kopf ein wenig hängen, weil auf ausländischem Boden alle sich derartige Sorgen um Japan machten.

Heute haben wir ein Zeitalter, in dem wir, auch wenn wir uns im Zimmer befinden, über das Fernsehen Geschehnisse an den verschiedensten Orten sehen können. Das gilt für alles, ob es sich um Kriege oder Sportereignisse handelt ... .

Ein Serbe hat im Fernsehen gesehen, wie eine alte Frau von den Mitgliedern der Selbstverteidigungskräfte mitten im Erdbebengebiet gerettet wurde, und er hat wieder und wieder gesagt, daß die Japaner eine ausgezeichnete Kultur besitzen.

Eine alte Frau, die im letzten Augenblick gerettet wurde und mehrere hundert Meter weit auf dem Rücken eines Mitglieds der Hilfskräfte getragen wurde, hatte entkräftet auf einem Stuhl gesessen, aber als sie ihren Helfer bemerkte, war sie aufgesprungen, hatte sich tief vor ihm verbeugt und ihren Respekt bezeugt, obwohl ihr Körper sehr schwach war. Derartige Szenen haben sicherlich die Herzen tief berührt.

Nun, so wie dieses Mal haben wir noch nie die Furcht vor der Naturgewalt erfahren. Doch auch wenn es Ereignisse gibt, die für die Menschen unerwartet und unvorhersehbar sind, können das doch vom Standpunkt des Kosmos, des Universums, also vom Standpunkt der Mutter Natur ganz normale Dinge sein. Nun ist es aber offensichtlich, daß die Zahl von Naturkatastrophen in dem Maße zugenommen hat, wie die Ziviliation sich weiterentwickelt hat und vorangeschritten ist.

Ist es vielleicht nicht so, daß auch durch die die abnormale Hitze im letzten Sommer der Himmel den Japanischen Inseln etwas mitteilen wollte? Der Fortschritt der Zivilisation, durch den wir so viele Wohltaten erhalten haben, wird begleitet durch das Auftreten von Dingen wie Atombombentests, globaler Erwärmung und von Unfällen in Kernkraftwerken. Und fügen wir nicht nur den Menschen sondern auch allen Lebwesen auf dem Land, im Meer und in der Luft unnötigerweise ernsten Schaden zu?

Menschen, die anders sind als Fauna und Flora, besitzen eine aktive Individualität, wodurch sie auch Naturkatastrophen aufhalten und beeinflußen können. Dennoch existieren Dinge, die in keiner Weise mit menschlichen Fähigkeiten beeinflußt werden können. Wenn man im täglichen Leben die natürliche Umwelt noch behutsamer behandeln würde, könnte man auch Naturkatastrophen in begrenztem Umfang akzeptieren und an eine göttliche Fügung der Natur denken (Ich bitte wegen dieser Aussage die Opfer um Verzeihung), aber man überfordert und quält aus meiner Sicht heutzutage die Erde so wie einen Sklaven, und daher wütet die Natur. Ich habe Furcht vor dem Grimm der Natur. Die Zeit ist gekommen, daß wir über den Arroganz unseres Denkens, daß wir die Natur erobern könnten, sorgfältig nachdenken müssen.

Der Begründer des Aikido, Morihei Ueshiba, hat mir vor etwa einem halben Jahrhundert (als ich Uchi Deshi war) mit grimmiger Stimme gesagt: “Shimizu, die Erde scheint Schmerzen zu haben und krank zu sein. Wir müssen ihre eine Erholungspause gönnen“, und diese grimmige Stimme von O-Sensei Ueshiba ging mir wieder durch Mark und Bein.

Wenn wir nichts mehr tun können, dann sollten wir intensiv darum bitten, daß die Erde nicht zu einem toten Planeten wird.

© übersetzt von Ichiro Murata und Dr. Peter Nawrot 06/2011