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Lockerlassen

Kawaraban Nr. 55

09/2003

von Kenji Shimizu

Neulich fanden in Paris die Weltmeisterschaften statt. Und zufällig sah ich bis spät in die Nacht fern, obwohl am nächsten Tag Frühtraining war. Bei dieser Gelegenheit sah ich mir einen Wettkampf an, dessen Kommentator mich durch seine recht treffenden Bemerkungen bannte.

Es handelte sich um Hammerwerfen, und der Vertreter Japans war der Athlet Murofushi, eine sichere Medallienhoffnung. Und als der Kommentator rief: „Los, lass’ locker!“, damit Murofushi ein gutes Ergebnis erzielt, da dachte ich bei mir, dass er recht hat.

Wenn ich persönlich das kommentieren wollte, so würde ich sagen, es ist ein Tipp, wie man der körperlichen Anspannung entkommen kann. Gerade wenn es wirklich darauf ankommt, ist jeder Mensch dem Gefühl der Anspannung (unregelmässiger Atem, verspannte Schultern, Verhärtung des Körpers etc.) ausgesetzt. Aber mit wiederholter grosser Anstrengung und Erfahrung erlangt man Selbstvertrauen, und ein natürliches Selbst wird entstehen.

Doch ist das überauss schwierig, da es von der Umgebung, der Zeit, den Umständen und auch vom Schicksal abhängt. Es lässt sich nicht einfach sagen, aber aus meiner Erfahrung gesprochen, bremst ein Geist, der siegen möchte (Begierde, Neid, Durst nach ...), das Selbst. Das liegt daran, dass das Gefühl vorausgeht, der Körper jedoch nicht so folgt, wie man möchte. Und so entsteht ein Selbst, das nicht mehr das eigene Selbst ist.

Es ist wesentlich, ohne Ki entweichen zu lassen, die Muskeln zu entspannen und vom Ki Gebrauch zu machen.

Bei den Begriffen Geist der Vorbereitung, unbesiegbarer Geist und Ki-Kraft erinnere ich mich an die Worte, die der Begründer oft betont hatte „Das Ki ist unendlich, wir müssen die Ki-Kraft entwickeln.“

Sieg und Niederlage sind auch zum grossen Teil schicksalsabhängig, und dass Murofushi, der wegen eines Unfalls vor dem Wettkampf Schmerzen im Arm ertragen musste, den 3. Platz erreichte, war wohl das Ergebnis, dass er, wie der Kommentator sagte, lockerlassen konnte. Wenn er in perfekter körperlicher Verfassung geworfen hätte, liegt der Gedanke nahe, dass er wohl die Goldmedaille errungen hätte; die Form war hervorragend, und man konnte Ki-Kraft spüren.

Wichtig ist die Frage wohin mit dem Geist.

„Der Geist ist genau der Geist, der den Geist verwirrt. Lass’ den Geist nicht den Geist erschüttern.“ (Mönch Takuan). Der Kernpunkt ist, den Geist nicht von etwas gefangennehmen zu lassen. Ein unbefangener Geist ist unschuldig. Unschuld bedeutet nicht, dass es keinen Geist gibt, sondern dass er unbefangen ist.

Wenn man angespannt ist, hält das eigene Selbst den Geist gefangen. Gemäss dem Zen-Wort „Körper und Geist sind nicht zwei Dinge“ trainieren wir im Aikidō-Training jeden Tag den geistigen Körper und den körperlichen Geist. Wir möchten wie Yagyū vonTajima es nennt, die „Geisteshaltung der göttlichen Logik “, erlernen.

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 12/2003