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Reise nach Europa

Kawaraban Nr. 6

04/1991

von Kenji Shimizu

Genau auf dem Höhepunkt des Golfkrieges am 31.01 flog ich von Narita in Richtung Frankfurt / Deutschland ab.

Im Jumbo waren wegen des Krieges ungewöhnlich wenige japanische Reisende, und man hatte Bedingungen, die einem das Ausstrecken auf den Sitzen bis zum Flughafen Frankfurt ermöglichten. Trotz des Winters wäre die Maschine normalerweise voll gewesen, doch so war ich von der ungewohnten Ruhe im Flugzeug verblüfft. Ich hatte auch Verkehrsstaus wegen des Kriegseinflusses bei diesem Seminar erwartet, doch der Flugzeugreiseverkehr war stark, und auf den ersten Blick konnte man nichts besonderes feststellen, was auf den Golfkrieges hinwies. Gleichgültig auf welchem Flughafen, es wimmelte wie immer von Europäern. Auch hier konnte ich eine unterschiedliche Wahrnehmung bei Japanern und Europäern bemerken. Im allgemeinen empfinden die Japaner den Stolz, der bei homogenen Völkern vorkommt, andererseits besitzen sie eine Inselmentalität, die Abweichungen nicht akzeptiert, und so fehlt irgendwie eine Erweiterung der Betrachtungs- und Denkweise.

Die Unfähigkeit, die Betrachtungs- und Denkweise zu erweitern, bringt wohl den Mangel an Kreativität mit sich. Die Einschränkung des Blickfeldes führt auch schon bei kleinsten Abweichungen innerhalb dieses Blickfeldes zu übertriebenen Reaktionen, man gewöhnt sich schnell an Veränderungen, und was sich nicht verändert, wird aus dem Blickfeld geschoben und schnell für immer vergessen.

In diesem Sinne war die traditionelle japanische Kultur immer der Gefahr des endgültigen Vergessens ausgesetzt.

Warum nur ist im Falle der Golfkrise kein größerer Einfluss auf Europa zu spüren, wie zu erwarten wäre, da Europa viel näher am Irak liegt als Japan.

Es ist unnötig zu sagen, daß die einzelnen Bürger den Krieg gelassen aufnehmen, aber auch in den Zeitungen und im Fernsehen gab es keine übertriebene Berichterstattung. Das liegt am ausgeprägten Individualismus.

Sie folgen nicht wie die Japaner belanglos plappernd blindlinks anderen Leuten,  und es werden keine Gerüchte verstreut. Sie sind hartnäckig und handeln nach ihrem eigenen Willen, und sie besitzen eine Eigensinnigkeit, die nicht so leicht von anderer Leute Sagen und Tun abhängig ist.

Ich fahre seit 1978 seit über 13 Jahren jedes Jahr zum Unterrichten nach Europa, und viele Schüler, die von Anfang an dabei waren, sind immer noch beim Training. Wenn man vom Deutschen Charakter spricht, so gibt es viele Menschen, die, bevor sie etwas beginnen, diese Sache eingehend bewerten und wenn sie dann einmal angefangen haben, sich weiter bemühen, bis sie die Sache verstanden haben.

Zum Beispiel ist das Fahrverhalten der deutschen Autos hervorragend, es ist die Frucht der Bemühungen von Meistern deutschen Charakters. Aus dem Blickwinkel der Japaner sind die Deutschen im allgemeinen anspruchslos. Kleidung und Essen sind bescheiden, und die jungen Leute fahren niemals exklusive Autos. Der Lebensstil ist dem sozialen Status angemessen, und ein sinnloses sich übernehmen findet nicht statt. Und genau an solchen Dingen kann man die starken Wurzeln des Individualismus spüren.

Wenn man darüber nachdenkt, so sind  viele der heutigen Japaner unsicher, was ihr Selbst betrifft, und aus diesem Grunde erkunden sie ständig unruhig den Zustand ihrer Umgebung. Doch solange man darauf basierend agiert, wird man immer vom  Leben, Freiheit und Glück entfernt sein. Kann unter solchen Bedingungen die Gesellschaftsumgebung, die die Menschlichkeit mißachtet, erneuert werden?

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 05/2005