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Interview mit Shimizu Sensei zum Thema Stärke

Kawaraban Nr. 45

01/2001

Interview mit Shimizu Sensei

Shimizu sensei wird über `Was ist wirkliche Stärke?` und `Warum sind höfliche Umgangsformen so wichtig`, sprechen. Punkte, die die Ideen des Tendoryu Aikido verkörpern und die Shimizu sensei im Training unermüdlich hervorhebt.

(das Gespräch wurde am 17. Januar 2001 im Büro von Shimizu sensei aufgenommen)

Das Jahr beginnt mit dem Wintertraining (kangeiko)

Im Dojo ist zurzeit das Wintertraining in vollem Gange, und obwohl es dieses Jahr noch ein Stückchen kälter geworden ist, nimmt eine große Zahl von Schülern an den aufeinanderfolgenden Tagen teil.

Shimizu: Darüber freue ich mich. Wenn in einer Zeit wie der heutigen der Wille vorhanden ist, sich mit allen Kräften selbst zu schulen, motiviert das auch die Lehrerseite. Ich denke, dass das Trainieren des eigenen Geistes zu jeder Zeit wichtig ist, doch wird besonders heutzutage dieses Denken erdrückt und verschwindet langsam.

In der jetzigen Zeit, in der das Ego, das nur sich selbst wichtig ist, stark hervortritt, habe ich ein bisschen das Gefühl, dass der gute alte Geist Japans im Tendokan wieder auflebt - mit Schülern, die sich der Herausforderung des Frühaufstehens stellen, um gemeinsam zu trainieren. Am ersten Tag des Kangeikos habe ich zu den Schülern gesagt : `Kangeiko ist der Beginn des Jahres`. Es ist wichtig, ein neues Jahr energiegeladen zu beginnen.

Höfliche Umgangsformen (rei) stehen für natürliche Rücksichtnahme.

Im Training sprechen Sie, Herr Shimizu, häufig über gute Umgangsformen und Manieren. Könnten Sie bitte noch einmal die Bedeutung von höflichen Umgangsformen erklären.

Shimizu: Umgangsformen, die zur Form erstarrt sind, sind hinderlich. Es ist wichtig, sich ungezwungen und natürlich zu geben, so dass dem Gegenüber durch das Verhalten ein erfrischendes Gefühl vermittelt wird. Die heutige Jugend kennt eine vornehme Zurückhaltung nicht mehr. Wirkliche Höflichkeit ist ein Verhalten ohne Überflüssiges und soll dem anderen nicht ins Auge stechen. Höfliche Umgangsformen sind sichtbar gemachte, natürliche Rücksichtnahme auf die Gefühle der anderen. Vom Bushido aus gesehen wird Zurückhaltung als ` Benehmen ohne alles Überflüssige ` definiert.

Dazu möchte ich eine Geschichte vom Begründer des Aikido, des ehrenwerten Morihei Ueshiba, erzählen. Eines Tages während der Vorkriegszeit, war der Adelige Konoe Fumimaro ( der spätere Premierminister ), der Aikido lernte, gerade dabei sich auf den Heimweg zu machen, als ein Schüler dem Begründer ( Ueshiba sensei ) von dieser Absicht mitteilte. Der Begründer war gerade mit dem Kendolehrer des Polizeipräsidiums im Gespräch, der zu Besuch war. Er teilte seinem Schüler mit , er solle einfach nur viele Grüße ausrichten. Aber da der Schüler unschlüssig war und es für unhöflich hielt, Herrn Konoe nicht persönlich zu verabschieden, soll der Begründer gesagt haben : ` Herr Konoe ist ein Schüler von mir. Der Herr, der vor mir sitzt ist mein Gast `. Was die Höflichkeit betrifft, so zeigt der Begründer hier ein vortreffliches Beispiel.

Von Natur aus schätzen Japaner Höflichkeit. Man glaubt, dass die Höflichkeit eine Vorkehrung ist, die Streit vermeidet. Ein erkämpfter Sieg ist dem Vermeiden von Streit nicht überlegen.

Trotzdem, wenn man aus Angst seine Augen verschließt und Unrecht zulässt, wird die Vernunft zurückgedrängt, und die Gesellschaft entwickelt sich zu einer, in der die Schwachen den Starken zum Opfer fallen.

Die Schreibweise des Schriftzeichens `Bu` bedeutet `die Hellebarden zu stoppen`, doch eigentlich ist Budo ein Weg, Streit zu vermeiden.

Wirkliche Stärke ist...

Als nächstes möchte ich etwas bezüglich der Stärke fragen. Jeder der zum Training kommt möchte gerne stärker werden.

Shimizu: Wenn man nur nach kräftigen Armen und starker Technik strebt, dann lässt sich das mit Prahlerei über Kampfstärke vergleichen. Wie vorher gesagt, sind höfliche Umgangsformen eine Art Vorkehrung. Ohne diese zu beherrschen, wird man nicht stark werden. Der Grund liegt darin, dass Menschen, die die Haltung ihres Partners nicht erfassen können, nicht lernen werden stark zu werden. Ueshiba sensei zum Beispiel, glaube ich, besaß die Fähigkeit, Gedanken erfassen zu können, das heißt in die Gedanken ( kokoro ) seines Gegenübers sehen zu können. Ohne dieses Einsichtsvermögen ist es nicht möglich zu siegen. Zu siegen, ohne zu kämpfen ist der größtmögliche Sieg, und ich erinnere mich, daß Ueshiba sensei oft gesagt hat, dass ein Sieg durch Kampf `minderwertig` sei.

Von Yamaoka Tesshu wird etwas ähnliches überliefert. Es gibt die Anekdote, dass der Herausforderer, der sich Tesshu mit dem Schwert entgegenstellt, seinen Kopf ganz unwillkürlich herabhängenlassen wird, wie um leicht geschlagen zu werden. Seine Gegner verlies so der Wunsch, ihn herauszufordern, und so fand kein Wettkampf statt. So wird gesagt, er habe Zeit seines Lebens nie wirklich kämpfen müssen.

Natürlich hat er sich dazu vollkommen und umfassend trainieren müssen.

Wenn man sich selbst hart trainiert hat, wird es zweitrangig, ob man den Gegner besiegen kann. Sich selbst zu überwinden, ist wirkliche Stärke.

Und wenn man mit dieser Einstellung trainiert, wird die Stärke immer ein bisschen greifbarer werden. Wahre Stärke ist die Stärke des Geistes. Mut, Entschlossenheit und Selbstbewusstsein sind Dinge, die durch das Training genährt und dem Körper zu eigen gemacht werden.

Im Zusammenhang mit Stärke erläutern Sie auch häufig den Begriff `kakugo` ( Bereitschaft ).

Shimizu: Kakugo bedeutet, dass man sich selbst auf Null zurücksetzt und keine eigennützigen Gedanken hat. So wie in einschneidenden Momenten, `wenn man seinen Körper vollständig aufgibt , getragen und mitgenommen wird` ( d.h. in einer Situation der vollständigen Aufgabe wird einem geholfen / Anm. d. Übers.), so erfährt man Stärke, wenn man Sieg und Niederlage außer Acht lässt. Weil das Sichbefreien vom Ego mit Stärke verbunden ist, nennt man Budo ein Studium des Geistes.

Ich springe etwas. Ist nicht doch in dem Ausspruch` Menschliches Leben bedeutet lebenslanges Lernen`, die Bedeutung von der Schulung der Bereitschaft ( kakugo ) an der Schwelle des Todes enthalten. Es stellt sich die große Frage denke ich, wie man im Sterben sein Leben ohne Reue beenden kann.

Die Videoproduktion in diesem Jahr

Lassen wir uns zu den diesjährigen aktuellen Gesprächsthemen überwechseln. Erzählen Sie uns bitte von den Vorhaben für das 21. Jahrhundert.

Shimizu: Bis jetzt hatte ich keinen besonderen Plan, doch nach der Operation meiner beiden Knie und dem günstigen Heilungsverlauf, sowie dem Überschreiten meines 60. Geburtstages, steht das Jahr 2001 für mich unter dem Motto `von jetzt an`. Der Begründer ( Ueshiba sensei ) hatte oft davon gesprochen, dass solange man die 60 noch nicht überschritten hat, die geistige Kraft noch nicht unverfälscht in ihrer Fülle zu Tage tritt. Jetzt weiß ich, wovon er sprach.

Ich will mit dem Ausland beginnen. Der Name Tendoryu ist zwar bekannt, doch müssen die Schüler oft weit reisen, um ( Aikido ) zu lernen. Deshalb möchte ich es auch über Amerika und Europa hinaus verbreiten. Zudem findet im Juli in Deutschland/München aus Anlass der 40 jährigen Gründungsfeier der Deutsch-Japanischen Gesellschaft eine Demonstration statt, die ein weiteres Mosaiksteinchen darstellt. Ich bin dazu direkt von dem in München residierenden Generalkonsul Herrn Nakane angesprochen worden. Es ist eine einstündige Vorführung in der großartigen Budokan Halle in München geplant. Der dortige Deutsche Vorstand des Tendoryu sieht zurzeit das Programm durch, und es scheint recht umfangreich zu sein.

Was Japan betrifft, so möchte ich mich dieses Jahr endlich um die Erstellung eines Videos kümmern. Voraussichtlich im Mai wollen wir mit den Aufnahmen beginnen. Dazu ist auch schon festgelegt, dass hohe Danträger aus Deutschland nach Japan kommen werden.

Wenn man jetzt zu den Buchhandlungen nach Kanda ( Stadtteil von Tokyo mit der höchsten Konzentration an Buchläden /Anm. d. Übers.) geht, sieht man in den Kampfkunstabteilungen sowohl Budobücher wie auch Videobänder, doch sind das reine Zurschaustellungen von Kampfkünsten. Ich möchte durch das Aikido, das Teil der hervorragenden japanischen Kultur ist, das Verständnis und die Liebe zu den alten japanischen Werten fördern.

Und wenn es mir außerdem gelingt, dadurch das Interesse der Japaner an Aikido zu wecken, dann wäre das eine schöne Sache.

© übersetzt von Birgit Lauenstein