Zum Inhalt springen

Zu Beginn des 25–jährigen Gründungsjubiläums

Kawaraban Nr. 17

01/1994

von Kenji Shimizu

Zusammen mit den Neujahrsglückwünschen bitte ich auch dieses Jahr wieder mit ganzem Herzen um Hilfe und Unterstützung.

Nun, dieses Jahr feiern wir das 25-jährige Bestehen unseres Aikidō-Dōjōs Tendōkan, und ich bin stolz darauf, daß der Tendōkan seit einem Vierteljahrhundert ohne Unterbrechung als reines Budō-Dōjō existiert. Wenn ich zurückblicke, verdanke ich eben das der Unterstützung vieler Menschen. Denn gerade am Anfang, als ich mich selbständig machte, war die Gründung eines Dōjōs eine überaus gefährliche Herausforderung, vergleichbar mit einer Atlantiküberquerung in einem kleinen Boot.

Bis zur Meiji – Zeit, sagt man, war das Budō im Herzen der Leute wie in ihrem Leben lebendig. Heutzutage dagegen ist das Verständnis für Budō schwach ausgeprägt. Ich habe sogar das Gefühl, daß dem Begriff Budō vielmehr ein schlechtes Image vorausgeht. Leere Formen, Bluffs und eine Atmosphäre voller Brutalität, und besonders bei den versportlichten Budōdisziplinen, bei denen es um Sieg oder Niederlage geht, läßt sich eine Tendenz zu Unbeherrschtheit beobachten.

Wir befinden uns in einer Situation, in der die eigentliche Absicht des Budō nicht mehr zu erkennen ist. Aber das ist weder die Schuld der Wettkämpfer noch der Trainer - sollte man die Ursachen dafür nicht in einer Umwälzung der japanischen Kultur suchen?

Eine der Besonderheiten der japanischen Kultur ist Bushidō, der Weg des Ritters. Doch was bedeutete das eigentlich ? Unter der Zuhilfenahme der Worte von Nitobe Inazo (1862-1933), einem Landwirtschaftsexperten, Denker und Pädagogen, aus seinem Werk `Bushidō` will ich etwas darüber sprechen.

Normalerweise, wenn man über den Bushidō-Geist spricht, gibt es Mißverständnisse. Niemals war Bushidō eine Sache, bei der es nur um Selbstaufopferung ging und man steif und hochmütig war.

Die Leute, die das eigene Gewissen den Launen, Schrullen und Einfällen ihrer Herren geopfert hatten, wurden im Bushidō streng beurteilt.

Ferner gibt es im Bushidō keine Kosten-Nutzenrechnung. Direkt zitiert heißt es folgendermaßen: „ Der Krieger profitiert von seinem Streben nach Ehre, das zu den Tugenden eines Kriegers zählt, und wird im Zweifelsfall eher den Tod wählen, als mit Schande zu leben.“

Der menschliche Aggressionstrieb ist allumfassend und natürlich, und in einer bestimmten Bedeutung könnte man ihn auch männlichen Edelmut nennen. Doch das ist nicht die ganze menschliche Natur, deren Basis ein erhabenerer Trieb, der Liebestrieb, ist. Kurz gesagt heisst das, dass die Grundlage eines Kampfes Liebe sein muß.

Der Bushidō steht dem Symbol Japans, der Kirschblüte, in nichts nach. Er ist im japanischen Boden verwurzelt, eine eigentümliche japanische Blume, die ihre Blüten entfaltet.

Nun, zufälligerweise ist Nitobe Inazo auf dem 5000-Yen Geldschein abgebildet. Der 5000- Yen Schein ist natürlich wichtig, aber obwohl Nitobe uns noch Wichtigeres sagt, wird dies nur von einer Minderheit wahrgenommen. Jetzt zum Beginn des 25. Jahres des Tendōkan habe ich mir innerlich vorgenommen, dazu beizutragen, dass die Kultur unseres Landes, die eine lange Tradition besitzt, und die Werte, die uns unsere Vorfahren als Erbe hinterlassen haben, wieder höher geschätzt werden, sich weiterentwickeln und der Nachwelt weitergegeben werden.

Es ist zwar eine private Angelegenheit, doch fühle ich mich Nitobe Inazo recht eng verbunden, da er der Heiratsvermittler der Großeltern meiner Frau war.

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 05/2003