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Der Riese, der uns quält

Kawaraban Nr. 30

04/1997

von Kenji Shimizu

Das Kindertraining in unserem Dōjō ist ungewöhnlich. Die Leitung liegt bei Bart, meinem Uchideshi aus Belgien. Aber hin und wieder bin auch ich beim Unterrichten mit dabei. Nein, es ist wohl richtiger zu sagen, dass ich eher mit den Kindern herumtolle, als sie zu unterweisen.

Stets versuchen die Kinder, Unterrichtspausen auszunutzen. Der Lehrer sollte solche Pausen auch in gewissem Mass gewähren, sodass der kindliche Trieb nicht zerstört wird. Trotzdem muss er kontrollierend eingreifen, ohne den Spieltrieb zu unterdrücken. Erziehen und Unterrichten sind schwierige Angelegenheiten. Sanftheit und Strenge müssen sich stets die Waage halten. Kinder sind sehr sensibel, und nachsichtige Lehrer werden schnell erkannt. Und ist die Nachgiebigkeit erst einmal erkannt, hören Kinder kaum noch auf den Lehrer.

Nun, ich werde von den Kindern “Der Riese, der uns quält” genannt. In der Bedeutung, dass die Kinder, die selbst quälen, von mir gequält werden. Ich tolle mit so einem Kind zusammen herum, bis es sich geschlagen gibt, seinen Fehler einsieht und den Anweisungen des Lehrers folgen will.

Doch nach zwei, drei Minuten ist alles vergessen. Seltsamerweise haben Kinder, die Unrechtes tun, auch etwas Reizendes an sich. Natürlich haben Kinder die verschiedensten Charaktere. Es gibt gehorsame, ängstliche, prahlende und ungezogene Kinder. Der Tendōkan jedoch ist ein Budō-Trainingsort. Meine Absicht ist es, sowohl militärische wie auch schulische Künste und Moral zu vermitteln sowie den Intellekt und den Körper zu schulen. Und besonders, was die Disziplin betrifft, darf es keinen Kompromiss geben. Ich fühle mich den Eltern der Kinder gegenüber auf besondere Weise verantwortlich. Und die Eltern beschweren sich nicht über den Trainingsstil, da sie wissen, dass alles zur Stärkung des Geistes geschieht.

© übersetzt von Birgit Lauenstein und Peter Nawrot 12/2002